Am Mittwoch, 09.05.2018, fand auf Antrag der SPD-Fraktion eine Sondersitzung des Rates statt. Einziger Tagesordnungspunkt war die Resolution der SPD-Fraktion gegen die Schließung der geburtshilflichen Abteilung. Diese vier Punkte sollten beschlossen werden:
- Die geplante Schließung der Fachabteilung führt zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgung im Raum Haltern am See sowie der angrenzenden Städte wie z. B. Dülmen. Aufgrund der zentralen Lage und der damit verbundenen guten Erreichbarkeit des Halterner Krankenhauses muss die Fachabteilung erhalten bleiben.
- Die Familienfreundlichkeit der Stadt Haltern am See fällt mit einer entsprechenden Infrastruktur. Neben vielen anderen Angeboten zählt dazu auch die medizinische Versorgung von der Geburt bis zum Lebensende in unserem Krankenhaus. Eine medizinische Versorgung, die auf rein betriebswirtschaftlichen Zahlen beruht, wird der besonderen Situation im ländlichen Raum nicht gerecht.
- Der Krankenhausplan 2015 des Landes NRW enthält keine Festlegungen für einzelne Krankenhäuser. Vielmehr wird in den Vorbemerkungen zum Krankenhausplan 2015 ausgeführt:
Zitatanfang „Aus diesem Grund ist die Fortsetzung des intensiven Dialoges insbesondere mit der Krankenhausgesellschaft, den Ärzteorganisationen und den Krankenkassenverbänden unter Einbeziehung des Patientenbeauftragten zwingend erforderlich. Nur so können notwendige Veränderungen frühzeitig erkannt und weiterhin gemeinsam daran gearbeitet werden, das System zukunftsfest zu halten. Oberstes Ziel ist ein Gesundheitssystem, das konsequent daran ausgerichtet ist, was Patientinnen und Patienten tatsächlich brauchen.“ — Zitatende
Wir fordern, dass dieser Dialog geführt wird, bevor Entscheidungen fallen.
- Die MitarbeiterInnen der Abteilung brauchen einen verlässlichen Partner als Arbeitgeber. Diese Verlässlichkeit ist durch diesen Beschluss fahrlässig verloren gegangen.
Trotz ausführlicher Begründung unserer Fraktionsvorsitzenden Beate Pliete konnten die anderen Fraktionen der Resolution nicht folgen.
Wir bedauern sehr, dass das Aufsichtsgremium der KKRN im Vorfeld nicht das Gespräch mit der hiesigen Politik gesucht hat. Auch Bürgermeister Klimpel war nach eigener Aussage im Vorfeld nicht informiert worden. Nach Bekanntwerden der Nachricht in der Halterner Zeitung wurden Stadtspitze und auch die Fraktionsvorsitzenden in einem Gespräch am 27.4.2018 über die aus Sicht der KKRN personelle und wirtschaftliche Notwendigkeit der Schließung informiert.
Für uns, die SPD-Fraktion, kam dies gleichfalls überraschend. Noch im Rahmen einer Sommerfraktion (Besuch der SPD-Fraktion im Krankenhaus) im Sommer 2017 war die Bedeutung aller Abteilungen durch die Geschäftsführung für das Haus in Haltern am See hervorgehoben worden.
Haltern am See ist zwar eine alte Stadt, aber für viele junge Familien besonders lebenswert. Die Stadt wächst und nähert sich bei der Einwohnerzahl der 40.000. Gute Infrastruktur – darunter natürlich auch die wohnortspezifische medizinische Versorgung – gehört zwingend mit dazu. Heute sind es 400 – 500 notwendige Geburten, andernorts lesen wir, dass 1000 Geburten notwendig seien, um die Abteilungen „wirtschaftlich“ zu betreiben. Dieser Spirale der wirtschaftlichen Interessen dürfen wir nicht taten- und kritiklos zusehen. Das Krankenhaus mit seiner geburtshilflichen Abteilung ist Daseinsvorsorge in unserer Stadt und ist ein Standortvorteil. Deshalb müssen wir uns gegen die Schließung wehren.
In den letzten zwanzig Jahren sind mehr als 40 % aller geburtshilflichen Abteilungen in NRW geschlossen worden. Allein in 2016 waren mehr als 50 geburtshilfliche Abteilungen betroffen. In den Medien wird gemutmaßt, dass wirtschaftliche Zwänge zu mehr Kaiserschnittgeburten sowie in der Diagnostik zu vermehrten Risikoeinschätzungen mit Bedarf eines nahe gelegenen Perinatalzentrums führten. In Deutschland ist mehr als jede dritte Geburt eine Sectio, der WHO-Durchschnitt liegt deutlich unter 20%.
Wirtschaftlichkeit contra Daseinsvorsorge lautet das Credo. Daher appellieren wir an alle politisch Tätigen in Land und Bund: die medizinische Regelversorgung in der Fläche muss sichergestellt werden. Der Rückzug aus der Fläche bedeutet gerade für die benachteiligte und wenig mobile Bevölkerung ein großes Handicap. Ähnlich sieht es die CDU Haltern am See in einer ersten Stellungnahme nach Bekanntwerden der Schließungspläne: „Es ist einer werdenden Mutter nur schwer zumutbar, eine Fahrstrecke von mindestens 30 Minuten in die dann zentralisierte Geburtsstation des Dorstener Krankenhauses aufzubürden. Auch etwas kürzere Fahrzeiten in Kliniken nach Datteln oder Marl sind mitunter problematisch und für Mutter und Kind eine zusätzliche Belastung.“ Dem stimmen wir uneingeschränkt zu.
Gerade deshalb glauben wir, dass das Zeichen einer gemeinsamen Resolution gegen die Schließung so wichtig ist. Wir wollen uns als Gewählte vor Ort nicht damit abfinden, dass die wichtige Abteilung schließt. Die Geburtshilfe ist Markenkern und genießt einen außerordentlich guten Ruf über die Stadtgrenzen hinweg.
Der deutsche Hebammenverband warnt vor weiteren Zentralisierungen von geburtshilflichen Abteilungen: „Schwangere müssen selbst entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten! Diese Wahlfreiheit ist vielerorts in Gefahr. Eine Hebamme zu finden, die Schwangere und Mütter mit ihren Familien bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett betreut, ist nicht immer und überall möglich. In einigen Regionen Deutschlands gibt es schon heute keine Wahlfreiheit mehr — weil die klinische Geburtshilfe auf wenige Krankenhäuser zentralisiert wurde oder die freiberufliche Geburtshilfe weggefallen ist.“…
Die Organisation Mother Hood e. V. beschreibt folgende Faktoren als wichtige Indizes für eine qualitativ hochwertige Betreuung werdender Mütter: kontinuierliche 1:1‑Betreuung durch eine Bezugshebamme, wohnortnahe Versorgung (20–30 PKW Minuten), weniger (Routine-)Interventionen, eine Kaiserschnittrate von max. 15–17 Prozent (gemäß WHO-Richtlinie), hohe Mütterzufriedenheit durch Einbeziehung und Mitbestimmung sowie Strukturen, Arbeitsabläufe und Prozesse, die das mütterliche und kindliche sowie das körperliche und seelische Outcome verbessern.
Trotz dieser sachlichen Argumentation warfen politische Mitbewerber der SPD “emotionale Schaumschlägerei” sowie das Wecken “unerfüllbarer Erwartungen” vor. Die Kollegen der FDP haben den Boden der Sachlichkeit komplett verlassen und warfen unserer Fraktionsvorsitzenden Beate Pliete ihre berufliche Tätigkeit und den dadurch angeblich fehlenden kommunalen Bezug. Das Publikum der Ratssitzung quittierte die unsachlichen Äußerungen mit lauten Buh-Rufen. Bürgermeister Klimpel stoppte die Zwischenrufe und mahnte zur Sachlichkeit. Manch einer mag denken, dieser Ordnungsruf wäre auch gegenüber den Ratsmitgliedern Schrief (CDU) und Surholt (FDP) notwendig gewesen.
Die Position der KKRN als Träger des Sixtus-Hospitals wurden hinreichend durch die anwesende Geschäftsführung erörtert. Wir wissen, dass die Rahmenbedingungen gerade für kleine Häuser extrem schwierig sind. Umso wichtiger ist der Aufschrei der Kommunalpolitik gegenüber Bund und Land. Wir danken ausdrücklich den MitarbeiterInnen des Krankenhauses für ihre Arbeit in dieser schwierigen Zeit und wünschen allen viel Kraft für die anstehenden Aufgaben.
Die SPD-Fraktion bedauert, dass die Mehrheit des Rates der Stadt Haltern am See sich nicht zum Beschluss der Resolution gegen die Schließung der Geburtshilfe durchringen konnte. Die SPD wird weiter für eine lebenswerte Stadt arbeiten!